Montag, 11. Juli 2005
Schreiben aus Liebe oder aus Hass?
"Das bestgehütete Geheimnis tief im Inneren unseres Herzens lautet, dass wir aus Liebe zu unserer Welt schreiben." (Natalie Goldberg: Schreiben in Cafés, Berlin 2003, S. 144)
Ich glaube, es ist auch möglich, aus Hass auf diese Welt zu schreiben, und aus Verachtung für die Menschen, die darin leben. Und ich glaube, dass die Geschichten, die dabei entstehen - mit zynischer Stimme zu berichten von der schrecklichen Vergangenheit der Welt, von ihrer furchtbaren Gegenwart, und eine katastrophale Zukunft vorwegzunehmen -, nicht weniger "wahr" sind.
Ich glaube, es ist möglich zu schreiben, nicht weil man sich mit allem und jedem verbunden und in Gemeinschaft, sondern weil man sich von allem getrennt und einsam weiß. Vielleicht ist der Hass ein genau so starkes Movens des Schreibens wie die Liebe: Schreiben, nicht um die Erinnerung an diese Welt zu bewahren, sondern um sie zu vergessen und neue zu erschaffen, neue Welten als Zielpunkte für die eigene Einsamkeit.
Was die Liebe vom Hass unterscheidet, ist ihr Fortbestehen nach dem Tod. Die Liebe überdauert den Tod dessen, den oder was man liebt. Der Hass verwandelt sich durch den Tod dessen, den oder was man hasst, in etwas anderes, in Trauer vielleicht, in Melancholie, Hilflosigkeit, Leere, manchmal auch Befriedigung.
Die negative Utopie führt bewusst den Tod der Welt herbei. Das kann geschehen sowohl aus Liebe zur Welt, deren Tod man nicht wünscht und vor dem man zu warnen beabsichtigt, wie auch aus Hass auf die Welt, deren Tod dann nur gerecht wäre und Befriedigung, aber Trauer, Leere, Hilflosigkeit bedeutete, weil es eine hoffnungsvolle Alternative nicht gibt.
Insofern, Natalie Goldbergs Satz ins Gegenteil gewendet:
Das bestgehütete Geheimnis tief im Inneren unseres Herzens lautet, dass wir aus Hass auf unsere Welt schreiben, aus Hass auf ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, aus Hass auf diese Welt, in der Züge immer dann pünktlich sind, wenn man selbst zu spät ist und umgekehrt, diese von Menschen geschaffene Welt aus Stahl und Beton, Elektrokabeln, Hochspannungsleitungen, Kraftwerken, Autoverkehr, Waffen, Terror, Krieg und Folter, und die natürliche Welt mit ihren Vulkanausbrüchen, Erdbeben, Tsunamis und Hurrikanen, mit Eiszeiten, Meteoriteneinschlägen und Artenmassensterben, mit dem Recht des Stärkeren, mit Parasiten und Viren, mit Bauchschmerzen, Kopfschmerzen und Krebs. Wir schreiben, um diese Welt ihrer gerechten Strafe zuzuführen, der Vernichtung, oder um eine andere zu erschaffen, in die wir flüchten können.
Doch ich widerlege mich selbst: Indem ich das schreibe, spüre ich, dass ich das alles nicht hasse, sondern daran leide. Und das geschieht aus Liebe.
Schlagworte: Schreiben, Liebe, Hass, Goldberg, Utopie, Tod, Welt, Philosophisches, Literatur, Trauer, Hoffnung
Ich glaube, es ist auch möglich, aus Hass auf diese Welt zu schreiben, und aus Verachtung für die Menschen, die darin leben. Und ich glaube, dass die Geschichten, die dabei entstehen - mit zynischer Stimme zu berichten von der schrecklichen Vergangenheit der Welt, von ihrer furchtbaren Gegenwart, und eine katastrophale Zukunft vorwegzunehmen -, nicht weniger "wahr" sind.
Ich glaube, es ist möglich zu schreiben, nicht weil man sich mit allem und jedem verbunden und in Gemeinschaft, sondern weil man sich von allem getrennt und einsam weiß. Vielleicht ist der Hass ein genau so starkes Movens des Schreibens wie die Liebe: Schreiben, nicht um die Erinnerung an diese Welt zu bewahren, sondern um sie zu vergessen und neue zu erschaffen, neue Welten als Zielpunkte für die eigene Einsamkeit.
Was die Liebe vom Hass unterscheidet, ist ihr Fortbestehen nach dem Tod. Die Liebe überdauert den Tod dessen, den oder was man liebt. Der Hass verwandelt sich durch den Tod dessen, den oder was man hasst, in etwas anderes, in Trauer vielleicht, in Melancholie, Hilflosigkeit, Leere, manchmal auch Befriedigung.
Die negative Utopie führt bewusst den Tod der Welt herbei. Das kann geschehen sowohl aus Liebe zur Welt, deren Tod man nicht wünscht und vor dem man zu warnen beabsichtigt, wie auch aus Hass auf die Welt, deren Tod dann nur gerecht wäre und Befriedigung, aber Trauer, Leere, Hilflosigkeit bedeutete, weil es eine hoffnungsvolle Alternative nicht gibt.
Insofern, Natalie Goldbergs Satz ins Gegenteil gewendet:
Das bestgehütete Geheimnis tief im Inneren unseres Herzens lautet, dass wir aus Hass auf unsere Welt schreiben, aus Hass auf ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, aus Hass auf diese Welt, in der Züge immer dann pünktlich sind, wenn man selbst zu spät ist und umgekehrt, diese von Menschen geschaffene Welt aus Stahl und Beton, Elektrokabeln, Hochspannungsleitungen, Kraftwerken, Autoverkehr, Waffen, Terror, Krieg und Folter, und die natürliche Welt mit ihren Vulkanausbrüchen, Erdbeben, Tsunamis und Hurrikanen, mit Eiszeiten, Meteoriteneinschlägen und Artenmassensterben, mit dem Recht des Stärkeren, mit Parasiten und Viren, mit Bauchschmerzen, Kopfschmerzen und Krebs. Wir schreiben, um diese Welt ihrer gerechten Strafe zuzuführen, der Vernichtung, oder um eine andere zu erschaffen, in die wir flüchten können.
Doch ich widerlege mich selbst: Indem ich das schreibe, spüre ich, dass ich das alles nicht hasse, sondern daran leide. Und das geschieht aus Liebe.
Schlagworte: Schreiben, Liebe, Hass, Goldberg, Utopie, Tod, Welt, Philosophisches, Literatur, Trauer, Hoffnung
wuff, 12:28h
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